Slow Flowers –
Plädoyer für eine neue Floristik

Nachhaltige Blumen aus regionalem Anbau statt Massenware aus Übersee

Für viele von uns ist es heute selbstverständlich, darauf zu achten, wo unser Essen herkommt. Dass unser Gemüse ungespritzt ist. Und jeder weiß mittlerweile, dass Obst der Saison viel besser schmeckt als unreif geerntete Früchte von anderen Kontinenten.

Aber kaum einer macht sich Gedanken darüber, woher unsere Blumen kommen. Keiner wundert sich über Rosen im Februar und Ranunkeln im Herbst.

Die floristischen Betriebe sehen heutzutage häufig aus wie kleine, ländliche Manufakturen, sie sind es aber nicht. Fast 80% der bei uns verkauften Schnittblumen kommen aus dem Ausland. In Ländern wie Kolumbien, Äthiopien oder Kenia wachsen sie in riesigen Farmen heran, werden früh geerntet. Gespritzt mit Mitteln, die bei uns eigentlich verboten sind, um den langen Transportweg zu überstehen. Sie werden unter ethisch fragwürdigen Arbeitsbedingungen angebaut, Kinderarbeit ist keine Seltenheit.

Das was bei uns dann als „Blume“ ankommt, wächst unnatürlich gerade, welkt schnell in der Vase und ist meist ohne jeglichen Duft. Kurz: die Blumen haben ihre ganze Sinnlichkeit verloren, sie sind billige, uniforme Massenware geworden. Jeder der mal einen Blumengroßmarkt von innen gesehen hat, weiß, wovon ich schreibe.

Die Entstehung der Slowflower-Bewegung

Zum Glück gibt es Idealistinnen, die sich – inspiriert von der Slow Food Bewegung – daran gemacht haben, Blumen ihre Sinnlichkeit wieder zurückzugeben.

Die Slowflower-Bewegung ist ursprünglich in der USA entstanden. Statt Gemüse werden Schnittblumen in kleinen Farmen ökologisch angebaut und auf Wochenmärkten, an Floristen und den Großhandel verkauft. Viele dieser neuen Blumenfarmerinnen sind Quereinsteigerinnen, die ihre Liebe zur Natur, ihren Sinn für Ästhetik mit einem cleveren Geschäftsmodell kombinieren wollten. Der Ertrag pro Quadratmeter Anbaufläche ist nämlich bei Schnittblumen wesentlich lukrativer als bei Bio-Gemüse. Als eine der Gründerinnen kann die Schriftstellerin Debra Prinzing angesehen werden. Sie veröffentlichte 2014 das Buch „Slow Flowers“ und legte damit den Grundstein für die Bewegung, die seitdem international in rasantem Tempo wächst.

Einen entscheidenden Anteil daran hat mit Sicherheit auch Erin Benzakein, die mit großer Leidenschaft und einem grandiosen Marketing ihre kleine „Floret Farm“ zu der wohl bekanntesten Schnittblumenfarm weltweit gemacht hat. Ihre Bücher sind allesamt Bestseller, in den sozialen Medien ist sie ein Star und ihre AnhängerInnen lassen sich in ihren Onlinekursen selbst zu Blumenfarmerinnen ausbilden, um ihrem Vorbild zu folgen.

Mittlerweile wächst die Bewegung auch in Deutschland und immer mehr kleine und große Blumenfarmen sprießen aus dem Boden. In den sozialen Netzwerken findet ein reger Austausch statt und ebenso viele GartenbloggerInnen haben das Thema in den letzten zwei Jahren für sich entdeckt. Selbst angebaute Blumen haben sich zu einem Megatrend entwickelt!

Die neue Ästhetik der Slow Flowers

Mich persönlich hat besonders die Ästhetik dieser Blumen und die neue Sortenvielfalt in den Bann geschlagen. Bouquets aus Slow Flowers wirken wilder, weicher und gleichzeitig viel moderner. Die Blumen haben organische Formen, krumme Stiele und selbst das Vergehen in der Vase ist ein Schauspiel, das ich liebe. Die Räume sind von Duft erfüllt. Sie sind ein Stück Natur, die plötzlich in unsere geordnete Interiorwelt einbricht. Regelrecht süchtig bin ich nach den neuen Sorten: Kosmeen sind nicht mehr pink, sondern erscheinen in zartem Rosé-Karamell, der Klatschmohn erblüht nicht mehr in rot, sondern in mystischem Grau-Violett. Und Zinnien gibt es mittlerweile in allen denkbaren Pastelltönen. Und um von den unglaublichen, neuen Sorten der Tulpen, Narzissen und Dahlien zu schwärmen, reicht der Platz hier leider nicht.

Slow Flowers aus dem eigenen Garten

Was aber ist jetzt der einfachste Weg, an diese herrlichen Blumen zu kommen? Sie einfach selbst im Garten anzubauen! Es ist unglaublich, wie wenig Fläche dafür notwendig ist: schon auf drei bis vier Quadratmetern lassen sich so viele Pflanzen kultivieren, dass man den ganzen Sommer über Sträuße ernten kann. Mit 10-20 Quadratmeter darf man sich aus meiner Sicht schon Schnittblumengärtnerin nennen. Und mit 100 Quadratmetern steht dem professionellen Schnittblumengewerbe nichts mehr im Wege. Das Beste aber ist: Blumen anzubauen ist definitiv einfacher als der Anbau von Gemüse und auch Anfängerinnen haben schnellen Erfolg, wenn sie die wichtigsten Regeln beachten.

Wichtig ist, dabei hauptsächlich Pflanzarten zu wählen, die unablässig Blüten produzieren. Stauden oder Zwiebelpflanzen wie z.B. Tulpen produzieren nur einmal pro Jahr Blüten. Im Gegensatz dazu können aus einjährige Blumen oder Dahlien hundert Blüten aus einer Pflanze sprießen! Der Trick: je öfter man sie schneidet, desto mehr Blüten kommen nach. Und das meistens bis zum ersten Frost.

Mit Slow Flowers durch das Jahr

Das Schöne aber ist, dass das Anbauen von Blumen im Garten wirklich süchtig macht: Schon wenn der Herbst beginnt, mache ich mir Gedanken und recherchiere tolle neue Sorten, die ich unbedingt im nächsten Jahr im Garten sehen will. Der Winter ist dann Shopping- und Planungszeit. Sorten werden zusammengestellt, Samen eingekauft, Pläne geschrieben. Und sobald der erste Hauch von Frühling in der Luft zu spüren ist, beginnt die Ansaat. Mittlerweile säe ich bis in den Juni hinein, man kann nicht genug Blumen haben. Und im Sommer und Herbst wird man mit einer reichen Ernte und einem wunderschönen Blumengarten belohnt. Einen Teil der Blumen trockne ich für floristische Projekte im Winter. Gibt es eine schönere Art zu Gärtnern? Definitiv nicht!

10 Gründe, warum jeder Slow Flowers im Garten anbauen sollte:

1. Die Blumen sind nicht gespritzt und müssen keine langen Transportwege zurücklegen, sie werden nicht unter unethischen Bedingungen angebaut

2. Sie verwandeln den Garten in ein verwunschenes Blütenmeer

3. Der Aufwand bei Anzucht und Pflege ist geringer als bei Gemüse, die Blumen sind viel weniger anfällig für Schädlinge

4. Die Blumen behalten ihre ganze Sinnlichkeit: sie duften und ihre organisch gewachsene Gestalt ist ästhetisch spannend

5. Sie halten viel länger in der Vase

6. Sie ermöglichen jedem, sich gestalterisch und kreativ ausleben

7. Mit der Saisonalität der Blumen lässt sich der Wandel der Jahreszeiten erleben und genießen

8. Sie sind viel kostengünstiger als die gekauften Blumen vom Floristen

9. Man hat immer das perfekte Geschenk für Freunde und Familie parat

10. Es lassen sich Sorten kultivieren, die man niemals im Blumenladen findet, da ihre empfindlichen Blüten niemals den Transport überstehen würden: Mohn, Kosmeen, Wicken beispielsweise

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